Das ist ja DIE Qualität, mit der man immer wieder in der Szene gelockt wird: „Gott liebt dich bedingungslos. Du musst nichts tun. Aber…“
Nun ja, wir wissen alle, was das wert ist, was vor einem Aber steht. „Aber du musst es persönlich annehmen“, „Aber du musst glauben, dass Jesus am Kreuz deine Schuld auf sich genommen hat“, „Aber…“
Das klingt jetzt eigentlich nicht nach einem großen Problem, oder? Ich meine, dann glaubt man es halt oder spricht eben mal ein Übergabegebet nach. Keine große Sache, was?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich, je länger ich raus bin immer mehr merke, dass es eben doch eine große Sache ist. Es wäre sicher kein Problem, wenn ich den Glauben mit meinem Weggang auch an den Nagel gehängt hätte, wie es Viele getan haben. Und immer noch tun. Aber da ich nun einmal Christ bin und Gott nicht aufgeben will und mich das alles immer noch irgendwie fasziniert hab ich ein Problem. Vielleicht merke ich das grade in der Weihnachtszeit besonders. Wenn meine Timeline vom Christlichen überschwemmt wird, was ich eigentlich auch mag, aber was mich gleichzeitig auch daran erinnert… dass ich es soooooo schwer finde, mich immer noch bedingungslos geliebt zu sehen. Denn war diese Liebe, die mir beigebracht wurde wirklich bedingungslos? Ich glaube nicht. Sie hat sich angefühlt, als wäre sie es, weil die Bedingungen, die gestellt wurden, für mich so niederschwellig waren dass ich sie kaum oder gar nicht wahrgenommen habe. An Jesus als den einzigen Retter und Erlöser zu glauben, dem mein Leben gehört und der mit mir tun und lassen kann was auch immer er will? Natürlich, das stand doch außer Frage. Immerhin habe ich Jesus vertraut und dem, was über ihn gesagt wurde meistens mehr als meiner eigenen Wahrnehmung. Die Bibel als das inspirierte und ewig wahre, verbindliche Wort Gottes schätzen und verehren? Na, was soll sie denn sonst sein, wenn nicht das? Anderen Menschen auf welche Art auch immer nahebringen, dasselbe zu glauben? Also bitte, alles andere wäre doch sadistisch, wenn man daran denkt, dass die Alternative die Hölle wäre. Also, diese Bedingungen fühlten sich für mich nicht nach Bedingungen an. Aber heute?
Ich weiß einfach nicht, was damals am Kreuz wirklich passiert ist. Es ist so verwirrend. So… ja, ich weiß auch nicht, es fühlt sich so falsch an, einfach zu sagen, dass damit irgend eine transzendente Realität auf mysteriöse Weise zu meinen Gunsten (die ich 2000 Jahre in der Zukunft lebe) verändert wurde. Es fühlt sich einfach so respektlos Jesus gegenüber an. Und Gott gegenüber. Davon abgesehen, wie viel kann ich eigentlich wirklich über Gott „wissen“? Und ist das nicht streng genommen ein Wiederspruch? Aber auf der anderen Seite habe ich immer wieder gelernt und geglaubt und gelehrt, dass genau das der Kern von allem ist, die eine Tatsache, die die Welt im Innersten zusammen hält und der einzige Grund, der Gott daran hindert, kurzen Prozess mit der Welt und allem, was darauf lebt zu machen. Ohne zu glauben, dass ich abgrundtief schlecht bin, und dass Jesus für meine Sünden brutal büßen musste damit ich dann in den Himmel kommen kann, bin ich dann noch Christ? Darf ich gut von mir und anderen denken und glauben, dass der Mensch doch Gutes in sich hat, einfach weil es Menschen sind? Und darf ich sagen, dass ich nicht weiß, was das mit dem Kreuz zu bedeuten hat? Und ist das ok, wenn ich das einfach offen lasse und sage, wenn ich irgendwann erfahren soll, was da passiert ist, dann bin ich neugierig darauf, aber es muss nicht sofort sein? Ja, ich weiß, ich kenn die Antwort von meinem Kopf her, aber ich schaff es einfach nicht, es zu glauben. Ich meine, ich habe immer wieder diese latenten Schuldgefühle, weil ich nicht mehr davon überzeugt bin, dass die Satisfaktionslehre das einzig Wahre ist. Ich fühle mich unwürdig und schlecht deswegen. Besonders wenn ich versuche, zu beten oder in der Bibel zu lesen, oder in den Gottesdienst zu gehen. Von Abendmahl wollen wir gar nicht erst anfangen, das ist nach wie vor ein Desaster.
Und Jesus als Herr über mein Leben? Also ganz ehrlich, das hatte nichts mit Mündigkeit zu tun. Nichts mit Erwachsenwerden und damit, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, denn die Verantwortung hatte ja Jesus und wenn etwas gut lief war es Jesus, der es getan hat, nicht man selbst und wenn etwas Schlimmes passierte war es auch Jesus, der einem dieses Schlimme „schenkte“, um damit etwas Gutes zu wirken. Für das größere Wohl. Es ist schon irgendwie bezeichnend, dass ich, als ich in der Szene war, einfach nicht länger als ein halbes Jahr in einem sozialversicherungspflichtigem Arbeitsverhältnis bleiben konnte aber je mehr ich dekonstruiert habe desto besser klappt es auch mit der Arbeit. Und ich bin nicht die Einzige, der es so geht. Ich kann mich noch daran erinnern, dass die Ameisen (Eine tierische Vorstellungsrunde der Gemeinden) eine Bibelschule hatten und jedes Semester, wenn die neuen „Studenten“ anfingen, wurde öffentlich für sie gebetet, dass Gott sie für die Welt unbrauchbar machen solle. Ich hab mit der Zeit einige von ihnen persönlich kennen gelernt und bin heute noch erschüttert, wie wenig sie in der realen Welt zurecht kommen. Also ja, ich vertraue Jesus, dass er das Beste für mich und für alle möchte. Nur seien wir doch mal ganz ehrlich, ist dieses „Leben übergeben“ wirklich das Beste? Welches Elternteil würde DAS von seinem Kind fordern, dass es sein Leben lang immer nur tut, was Mama oder Papa will? Dass es immer nur zu Hause bleibt und nicht selbstständig wird? Bei einem kleinen, dreijährigen Kind kann das ja ganz süß sein, aber bei einem Erwachsenen? Sorry, aber das ist doch krank! Diese geforderte Unmündigkeit ist doch… . Aber auch hier wieder: Es war eine der Bedingungen dass Gott mich bedingungslos liebt. Darf ich dann überhaupt sagen, es ist MEIN Leben? Darf ich dann überhaupt Entscheidungen treffen, ohne vorher ein eindeutiges „Ja“ von Gott zu bekommen? Darf ich dann überhaupt etwas tun, von dem ich weiß, dass es nicht das Beste für andere ist oder für die Welt oder für die Kirche oder Gemeinde, aber von dem ich glaube, dass es mir einfach mal gut tut? Theoretisch weiß ich hier auch die Antwort, aber praktisch…?
Naja, ich könnte da echt noch EINIGES andere nennen, aber das erspar ich dir lieber. Nur, was ich sagen möchte ist, dass es mir im Moment unglaublich schwer fällt den Gedanken zuzulassen, dass Gott mich wirklich ohne jede Bedingung liebt. Wäre eine bedingungslose Liebe nicht zum Beispiel, wenn die andere Person etwas über mich erfährt, was ich aus Angst vor Liebesentzug jahrelang geheim gehalten habe, und die Person umarmt mich einfach und sagt, dass es gar kein Problem ist, solange es mir gut geht? Aber genau das konnte ich mir all die Jahre in der Szene nie wirklich bei Gott vorstellen und heute fällt es mir umso schwerer wenn ich daran denke, dass ich die Bedingungen nicht mehr erfüllen kann.