„Tja, man hat mir gesagt, ich solle hier kurzen Prozess machen. Aber so einfach ist es nicht. Immerhin hab ich selbst, als ich von dieser Heldentat gehört habe, tatsächlich eine Gänsehaut bekommen. Und deshalb muss ich schon ein paar Tackte mehr sagen.Als Richter ist man ja täglich mit Schuld und Verantwortungslosigkeit konfrontiert und da übernimmt einer viel mehr an Verantwortung als man von einem Menschen überhaupt fordern kann. Mein Held, ein (Arbeiter auf dem Bau), stand innerhalb eines Augenblicks plötzlich vor der größten Entscheidung seines Lebens: Rette ich mein eigenes Leben und riskiere das anderer? Oder verhindere ich eine furchtbare Katastrophe in dem sicheren Wissen, dabei mein eigenes Leben zu opfern? Mein Held hat sich entschieden. Er hat als Einziger ein drohendes Unheil von unvorstellbaren Ausmaß erkannt. Hätte er nichts getan, wäre ihm gar nichts passiert. Aber er hat den eigenen Tod vor Augen gehandelt. Dass er lebt, ist ein Wunder. Schwer verletzt, aber dafür hat er das Leben vieler anderer gerettet. Und damit komme ich zum schönsten Urteil, das ich mir vorstellen kann: Lebenslänglich ein wahrer Held.“
Richter Alexander Hold wird ausgeblendet und ein Film spielt ab. Er zeigt eine Baustelle mit Arbeitern, direkt neben einer Schule.
„29. April 2003. Eine Großbaustelle in Düsseldorf, nahe der berühmten „Kö“. Hier soll in Kürze ein Hotel eröffnet werden. Gleich daneben die Schüler eines Gymnasiums auf dem Weg zur Schule; und Heinrich Dorissen auf dem Weg zu seinem Kran. Er will seinen Sohn Ingo ablösen.“
Zwei Männer treffen sich, tauschen sich kurz aus, dann geht der eine weg und der andere steigt die Leiter des Krans hinauf.
„Und so steigt Heinrich Dorissen in die Höhe… ganze 72 Meter. Die Dorissens sind eine ganze Kranfahrerfamilie. Ihre Devise heißt: Sicherheit und Verantwortung.“
Der Mann, der den Kran hinauf gestiegen ist, wird eingeblendet und erzählt ein wenig, was er an seiner Arbeit mag. „Die Kollegen verlassen sich auf einen. Man muss immer wachsam sein, damit den Kollegen nichts passiert. Ich liebe meinen Beruf.“
„Arbeitsbeginn für Heinrich Dorissen. In rund 70 Meter Entfernung steht Kran 1. Was niemand bemerkt – unter dem Fundament von Kran 1 staut sich Grundwasser, rinnt an die Oberfläche und umspült den Sockel. Zur selben Zeit werden im angrenzenden Gymnasium Schüler unterrichtet. Eine halbe Stunde später. Die 180 Tonnen Gewicht von Kran 1 stemmen sich gegen das Grundwasser. Erste Fontänen schießen hoch. Eine schreckliche Katastrophe droht. „Ich schau so runter, da seh ich, wie da Wasser hoch spritzt. Ich hab gedacht, was ist das denn da?!“ Zu spät. Keine Macht der Welt kann das Wasser jetzt noch aufhalten. Es schießt aus dem Boden. Kran 1 beginnt immer bedrohlicher zu schwingen; Richtung Schule.
Zwischendurch wird wieder Heinrich Dorissen eingeblendet, der sagt, er dachte in dem Augenblick nur daran, dass den Schülern und den Arbeitskollegen bloß nichts geschehen darf.
„Weder die Schüler des Gymnasiums, noch die Männer unten auf der Baustelle ahnen, welche totbringende Gefahr über ihren Köpfen schwebt. Und dann…. das Unfassbare geschieht. 180 Tonnen Stahl stürzen in die Tiefe. Geistesgegenwärtig warnt Heinrich Dorissen seine Kollegen.
„Kollegen, geht in Deckung, Kran 1 kippt um!“
50 Männer können sich gerade noch in Sicherheit bringen. Doch Kran 1 fällt weiter, Richtung Schule. Der Kranführer weiß, kein einziger Schüler würde diesen Aufprall überleben. Binnen Sekunden lenkt er seinen Ausleger unter den stürzenden Kran.
„Ich hab nur an die Kinder gedacht!“
Und er schafft es. Die Ausleger greifen ineinander. Kran 1 beginnt, seine Fallrichtung zu ändern und es funktioniert. Die riesigen Stahlausleger schrammen knapp an dem Schulgebäude vorbei. Alle Schüler können sich retten. Doch jetzt wird Heinrich Dorissen in die Tiefe gerissen. Über 70 Meter.
„Da hab ich gedacht, jetzt ist Feierabend.“
Heinrich Dorissen, der Mann der sein eigenes Leben auf’s Spiel setzte um zahlreichen Menschen das Leben zu retten.“
Die Kamera zeigt wieder die Bühne der Gala und Richter Alexander Hold und den Moderator Kai Pflaume. Letzterer sagt:
„Heinrich Dorissen hat überlebt, er hat überstanden. Und dafür, dass er sich selbst geopfert hätte, zeichnen wir ihn heute Abend aus. Heinrich Dorissen ist ein wahrer Held. Herzlich Willkommen, guten Abend. Ich glaube Herr Dorissen zu dem was Sie getan haben gehört weit mehr als nur Mut.“
Heinrich Dorissen betritt die Bühne. Alexander Hold ergreift das Wort:
„Herr Dorissen, manchmal können auch feuchte Augen ein Zeichen von Größe sein. Ich weiß nicht wer von uns in dieser Situation die Größe gehabt hätte so zu entscheiden und so zu handeln. Der Ring der Menschnlichkeit geht an Sie, für diese – aus meiner Sicht – beispiellose Heldentat mit der Sie vielen Menschen das Leben gerettet haben. Es sieht zwar nicht so aus von der Größe her, aber ich schau‘ zu Ihnen auf.“
Heinrich Dorissen nimmt leicht verlegen die Auszeichnung entgegen.
„Ich bedanke mich recht herzlich für diese hohe Auszeichnung. Ich bin noch ziemlich gerührt. Ich möchte nur noch mit auf den Weg geben: Leute, helft da wo ihr könnt, denn jedes Leben ist wertvoll.“
Diese Geschichte wurde ausgestrahlt in „Deutschlands wahre Helden“ im Jahr 2003. Ich war knappe 18, als ich das gesehen habe. Und ich war geflasht. Kannst du dir vorstellen, warum?
Frohe Ostern. Und auf das Leben, wie auch immer man das im Einzelnen nennt.