Was ich immer Unfall nannte

Ich habe in letzter Zeit auf dem Herzen, Dinge zu schreiben, die vor einigen Jahren passiert sind. Auch, wenn ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern kann. Ich versuche es trotzdem mal.

Eine Sache war die Sache mit den Geschlechterrollen. Aber da muss ich etwas ausholen.

Aufgewachsen mit den Einreden, nicht richtig zu sein, nichts wirklich zu können, war ich immer ein sehr verunsichertes Kind. Welches Kind kann schon ein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen, wenn es immer wieder hört, es müsse anders sein, um richtig zu sein, ohne dass ihm wirklich gesagt wird, wie dieses „anders sein“ aussehen soll? Dann bin ich über eine Freundin in eine freikirchliche Gemeinde gekommen, als ich 12 war und habe da einen unglaublich wertvollen Schutzraum gefunden. Hier durfte ich einfach nur ich sein, es wurde nicht erwartet, dass ich anders sei als ich bin. Durch diese Wertschätzung und Annahme habe ich angefangen, mich zu öffnen, erst sozial und emotional, dann auch für den christlichen Glauben. Gut, er wurde dort sehr fundamentalistisch gelebt. Aber das war für mich, wie ich damals war, eigentlich genau richtig. Diese klaren Antworten gaben mir Sicherheit. Und das Wissen, hier dazu zu gehören, ließ mich Teil von etwas Großem sein. Es hat mich stärker gemacht, selbstbewusster. Ich wusste, dass diese Heilung von Gott kommt. Ich habe angefangen, ihn zu lieben. Ich entwickelte mich zu einer selbstbewussten, jungen Frau.

Aber irgendwann kam der erste, große Crash. Und was das für ein Crash war!

Ich war Anfang 20, vielleicht 22? Und ich wollte wirklich tun, was Gott möchte. Ich habe gelernt, ihm zu vertrauen, weil er schon so viel Gutes getan hat. Dann kam es zu einer Diskussion im Hauskreis. Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind, aber wir haben über die Rolle der Frauen geredet. Und während diesem Gespräch ist mir das erste mal wirklich klar geworden, welches Rollenbild die fundamentalistische Richtung des Christseins eigentlich hat. Und diese Richtung war die Einzige, die ich kannte und die ich ernst genommen habe. Von der ich glaubte, Gott stünde dahinter. Gott wolle es. (Vorsicht, der nächste Absatz könnte triggern.)

FrauenbildFrauen als Gehilfinnen des Mannes. Der Mann als Haupt der Frau. „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre.“, „Frauen, ordnet euch euren Männern unter, so, wie ihr euch Christus unterordnet.“, durch Eva kam die Sünde in die Welt, die Frau ist zwar nicht weniger wert, aber hat andere Aufgaben. (Kochen, Putzen, Schnittchen verteilen, Kinder kriegen.) So Sachen halt.

Mir zog es den Boden unter den Füßen weg. Was sollte das? Gott hat mir doch als Frau Selbstbewusstsein gegeben, er hat mich doch als Frau so aufgebaut, dass ich mich behaupten konnte! Und jetzt sollte das alles falsch gewesen sein? Umsonst? Jetzt sollte ich diese Heilung aufgeben und wieder nur ein rechtloses Irgendwas sein, praktisch Eigentum des Mannes, nur für ihn da und dafür, dass er die wirklich wichtigen Aufgaben bekommt und dafür noch dankbar sein? Dabei wollte ich doch tun, was Gott will. Hieße das, ich musste jetzt für den Rest meines Lebens das passive Heimchen am Herd werden, eine Rolle, die nicht weniger zu mir passen könnte?

Ich glaube, ich habe in meinem Leben bis dahin noch nie so viel geweint wie in den Wochen danach. Und da ich noch bei meinen Eltern lebte und vor ihnen nicht zeigen wollte, dass ich solche Probleme habe, habe ich mich die meiste Zeit in mein Zimmer verkrochen und gegrübelt und geheult und gebetet, wenn ich beten konnte. Ich hatte Schwierigkeiten, in die Gemeinde zu gehen, bin aber trotzdem gegangen, hab mich da, wenn auch nur entfernt ein solches Thema wie Unterordnung oder Schöpfungsordnung aufkam, auf die Toilette geflohen und hab den nächsten Heulkrampf gekriegt. Bis mich irgendwann eine Freundin „inflagranti“ erwischt hat. Da konnte ich natürlich nicht mehr sagen, es sei nichts und hab erzählt, was in mir vorging. Gott sei Dank für liebe Freundinnen. Sie hat mich ganz lieb beruhigt und es tat einfach gut, es jemandem zu erzählen. Sie meinte dann auch, dass ich das falsch verstanden habe, dass natürlich Frauen als Personen wertvoll sind.

Aber ausgestanden war es deswegen noch nicht. Ich weiß nicht genau, warum, aber in den Monaten danach fing ich an, jedem zu misstrauen, der irgend eine Verantwortung in der Gemeinde hatte, dem ich mich also unterordnen sollte. Und nach und nach wurde dieses Misstrauen zu Zynismus und sogar Hass. Ich fing an, verbal um mich zu schlagen, ich hatte keine Ahnung, wie aggressiv ich werden konnte. Das Ganze entglitt nach und nach meiner Kontrolle, ich bekam richtige Angst vor mir selbst. Ich dachte, dass ich irgendwelche Dämonen hatte. Weil diese Wut in mir, diese Aggressivität, die konnte doch nicht normal sein! Ich betete vor jedem mal, wo ich in die Gemeinde ging, dass Gott darauf aufpasst, dass ich keinen Schaden anrichte und dass ich vielleicht doch etwas Schönes dort erlebe. Oft hat er es erhört, aber manchmal… . Ich sah mich schon in meiner Fantasie vor den Ältesten.

Ich habe auch angefangen, mich intensiv auf meine Art mit dem Stoff zu beschäftigen. Weil ich nach einiger Zeit gemerkt habe, das, wie ich das Ganze verstanden habe, das KANN nicht Gottes Wille sein. Das ist nicht der Gott, den ich kennen gelernt habe. Also hab ich ganz vorsichtig diese entsprechenden Stellen gelesen und darüber gebetet und, wenn ich stark genug dafür war, auch mit Freunden aus anderen Gemeinden (ja, auch sie waren freikirchlich) darüber geredet. Und dabei kamen sehr interessante Sachen raus, die für mich echt heilsam waren. Zum Beispiel: Jesus. Er hat eine Frau darum gebeten, seinen männlichen Jüngern von seiner Auferstehung zu erzählen. Oder es gab schon im AT einige sehr wichtige, einflussreiche Frauen. Deborah, Esther, Miriam… .

Das hat mir in der Situation meinen Glauben gerettet. Aber mich nicht vor meiner Wut befreit. Die Leute in meiner Gemeinde sind sehr unterschiedlich damit umgegangen. Nicht, dass sie mich verurteilt hätten, vielleicht hätte ich damit besser umgehen können als mit dem Mitleid, was einige mir entgegen gebracht haben und mit den Versuchen, mir zu helfen. Es war wirklich lieb gemeint von ihnen. Ich weiß. Und ich glaube auch, sie haben ihr Bestes gegeben. Aber wenn mir eine Person, die sehr auf dieses konservative Rollenbild pocht, mir jedes mal, wenn wir uns begegneten, versucht, über den Kopf zu streicheln ist das… naja, etwas seltsam. (Das Gute an dieser Sache war, dass ich es geschafft habe, sie einerseits klar und deutlich, andererseits nicht unfreundlich darauf aufmerksam zu machen, dass sie mir damit wirklich nicht hilft – und dann zu sehen, dass sie es auch lässt.) Oder wenn eine wirklich gute Freundin hinter meinem Rücken ein Seelsorgegespräch arrangiert macht mich das wirklich sauer. Auch, wenn auch das gut gemeint war. Und wenn dieses Seelsorgegespräch dann auch noch so scheiße verläuft, wie es nicht scheißer gehen kann… . Unter’m Strich kann man glaub ich sagen, dass diese Reaktionen es eher schlimmer gemacht haben als dass sie geholfen hätten. Ohren Ich glaube, in vielen konservativen, bzw. fundamentalistischen Gemeinden würden Sozialtrainings helfen, so Sachen wie: Wie gehe ich mit Konflikten um? So ganz grundlegende Sachen wie das 4-Ohren-Modell von Schulz von Thun und so einen Kram. Könnte man sicherlich auch biblisch belegen.

Was dann aber geholfen hat war ein wirklich deutliches Eingreifen von Gott. Aber das erst nach einigen Jahren. Ich schätze, ich war da so 25? Ich war mit einigen Leuten aus einer anderen Gemeinde auf einer charismatischen Konferenz. Es ging um Geistesgaben, innere Heilung und Befreiung. Halt klassisch charismatisch. Und in einer der Abendveranstaltungen ging es eben um Befreiung. Der Kerl hat uns aufgerufen, wenn wir spüren, dass Gott uns begegnen will und wenn wir das auch möchten, aufzustehen. Mein Puls schoss nach oben, ich hab einen starken inneren Wiederstand gespürt, hab aber meinen ganzen Willen und meine Kraft zusammen genommen und bin aufgestanden. Dann hat er gebetet. Dass die bösen Geister verschwinden sollen, der Geist des nicht-angenommen-seins und so. Und da hab ich einen gewischt bekommen, dass ich mich vor Schreck setzen musste. Ich dachte, was war denn das? Ich hab doch nicht in eine Steckdose gepackt? Aber genau so hat es sich angefühlt, es hat richtig weh getan. Und in einem Bruchteil einer Sekunde habe ich gewusst, dass es nun vorbei war. Die Sache mit dem unerklärlichen Hass, aus dem ich nicht heraus kam und meiner schon beinahe Unfähigkeit, von der Gemeinde irgend etwas Gute zu erwarten. Ich kann es schlecht beschreiben, ich hoffe, es ist einigermaßen verständlich. Vielleicht kann man einige Sachen auch nur verstehen, wenn man sie selbst erlebt hat.

Als ich dann nach Hause gefahren bin kamen leise Zweifel, dass es wirklich von Gott war und dass es jetzt wirklich aufwärts geht und ich hab mich gefragt, was ich denn machen soll, wenn es wieder los geht. Und ich hatte den Eindruck, dass Gott leicht schmunzelt. Und im Radio kam ungelogen dreimal beinahe hintereinander dasselbe Lied „Through the eyes of a child“, übersetzt in etwa: „Mach es dir nicht so schwer, versuch, das Leben zu sehen wie ein Kind… Ich kenne dich doch und weiß von deiner Angst. Nimm meine Hand, ich gehe mit… Geh deinen Weg und sei frei!“ und so weiter. Da war eigentlich alles klar. Und tatsächlich, auch wenn es danach noch ab und zu Ausraster gab, war es ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Ich weiß nicht, warum Gott einen so krassen Weg gewählt hat. Vielleicht einfach als letzte Möglichkeit, weil ich schon zu lange zu sehr in diesem Muster drin war als dass mich eine weniger eindrückliche Methode da raus holen konnte. Oder weil ich wirklich so überzeugt war, ein dämonisches Problem zu haben. Aber jedenfalls hat es bei mir in dieser Situation geholfen, mit mir und anderen gut umzugehen und es hat mich wieder näher zu Gott gebracht. Und ich glaube, darauf kommt es an, oder? Ich will damit aber nicht sagen, dass es bei jedem immer und überall hilft.

OK, das war jetzt ein etwas untypischer Post von mir. Darf ich aber auch mal, oder? 😀

2 Gedanken zu “Was ich immer Unfall nannte

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